Mittwoch, 17. Mai 2006

Die zweite Schande von Basel

Frontseite:

Frage zur Erlenmatt wurde gestrichen

Ein waschechter, spannender Primeur, den die baz da liefert! Ganz unzynisch gemeint. Die Vorsteherin des Geographischen Instituts, Rita Schneider-Sliwa, hat die Ergebnisse einer Studie manipuliert und deren Publikation zugunsten der Regierungslinie in Sachen Erlenmatt hinausgezögert: Eine Umfrage unter Studierenden hatte ergeben, dass die Mehrheit von ihnen sich nicht vorstellen kann, je auf dem Erlenmattareal zu wohnen. Dieses Ergebnis stand fest noch vor der Abstimmung über die Erlenmatt-Vorlage am 27. Februar 2005. Hätte dessen Bekanntwerden den Ausgang beeinflussen können? Man weiss es nicht. Und wird es nie wissen, denn Schneider-Sliwa blockierte die Herausgabe. Mit diesem Argument:

"Wissenschaftliche Fragestellungen und Ergebnisse aus der Angewandten Stadtforschung können politisch missdeutet werrden", erklärt sie. Es habe die Gefahr bestanden, dass politische Parteien des gesamten Spektrums einige Resultate instrumentalisieren würden.

Das nennt man landläufig politischen Diskurs, ist der Normalfall und in Demokratien gang und gäbe, Frau Schneider-Sliwa. Auf welchem Planeten leben Sie ganz genau?

Aus einem E-Mail von Schneider-Sliwas Assistenten, das der baz vorliegt, geht aber hevor, dass die Professorin "dem Baudepartement und Regierungsräting Schneider Geheimhaltung angeboten" hat.

Davon will die Sprecherin des Baudeps heute nichts mehr wissen - wen wundert's.

Im Herbst 2005 ist die Studie dann erschienen, ohne Aufsehen zu erregen. Doch die letzte Frage fehlt. Warum ausgerechnet die Frage zur Erlenmatt in der fertigen Studie nicht mehr vorkommt, will Schneider-Sliwa nicht näher begründen.

Liebedienerische Zensur braucht keine Begründung! Dieser aufgedeckte Fall von politisch motivierter Zensur und Manipulation wissenschaftlicher Ergebnisse steht sicher nicht alleine da. Nur erfahren wir von den anderen äusserst selten. Oder gar nie. Die Uni, resp. ihr Sprecher, stellt sich sogar schützend vor Schneider-Sliwa und ihr Vorgehen.

Die Universitätsführung hat mit Schneider-Sliwas Vorgehen kein Problem. Die "Kompetenz bezüglich Fragestellung, Inhalt und Form sowie Durchführung und Publizierung von wissenschaftlichen Arbeiten" liege in den Händen der Professorenschaft, sagt Hans Syfrig, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit.

Syfrig hat das Geschäft der Lüge, das eigentliche Wesen der PR, offensichtlich verinnerlicht. Manipulation und Zensur an der Basler Uni? Wer wollte eine zweite "Schande von Basel" riskieren? Ich verwette meinen Master of Science, dass dieser skandalöse Vorgang kein politisches Nachspiel haben wird! Ironie der Geschichte, oder volle Absicht: Die baz bringt heute auf S. 3 ein längeres Interview mit dem Wissenschaftssoziologen Scheldon Krimsky, der heute Abend einen Vortrag hält an der Uni Basel. Das Interview ziert die Spitzmarke:

Sheldon Krimsky warnt vor einer Einflussnahme privatwirtschaftlicher Interessen auf öffentliche Forschung

Angesichts Schneider-Sliwas Vorgehen müsste er wohl auch vor vorauseilendem Gehorsam gegenüber den politischen Behörden, vor Selbstzensur und vor Duckmäusertum warnen!

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vanpipe - 17. Mai, 11:26

was ich...

...an dieser ganzen geschichte nicht verstehe: welche relevanz hat es, ob nun studierende dort wohnen wollen oder nicht? als studentensiedlung war das ganze ja nicht angelegt, sondern eher als familiensiedlung - oder liege ich falsch?

patpatpat - 17. Mai, 11:31

kann sein,

dass die frage in der sache letztlich irrelevant ist. relevant find ich aber das angebot der professorin an die regierung, die studie geheim- / zurückzuhalten. und dass die frage in der publizierten studie gar nicht mehr vorkommt. also etwa: die struktur des vorgangs find ich relevant, weniger der inhalt.
vanpipe - 17. Mai, 11:37

das stimmt natürlich.

ich frag mich bloß - und das macht den baz-primeur für mich auch ein wenig erratisch - was denn die motivation dieser professorin war, eine letztlich wenig relevante umfrage zu unterdrücken.

patpatpat - 17. Mai, 11:42

Angst davor,

in den Strudel der Tagespolitik zu geraten damit? Angst, die Politik zu verärgern mit Resultaten, die dem Gang der Dinge, so wie ihn die Regierung gern hätte, zuwiderlaufen? Da irgendwo würd ich suchen. Sie sagt ja selber was in die Richtung, wenn auch reichlich verklausuliert.

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