Samstag, 14. Mai 2005

Wir basteln uns eine Bilanz

100 Tage neu zusammengesetzes Kantonsparlament BS: Für Patrick Marcolli heute auf S. 14 Grund genug, sich weit zum Fenster hinaus zu lehnen.

Im Grossen Rat hat es junge Parlamentarierinnen und Parlamentarier – auch bürgerliche! –, die sich Vorstellungen darüber machen, wie Basel in den verschiedensten Bereichen die Balance zwischen Zurückhaltung und Attraktivität findet, die uns gut begründet darlegen können, weshalb es ein gut funktionierendes staatliches Gemeinwesen braucht: Diese Parlamentarier entstammen einer Generation, die politischen Ideologien kritisch gegenübersteht, die einer pragmatischen «Von Fall zu Fall»-Sicht der Welt mehr abgewinnen können als bestimmten Dogmen. Die vielleicht genau deswegen etwas wagen und unorthodoxe Vorschläge einbringen können.

"Balance zwischen Zurückhaltung und Attraktivität"? Diagnose: Schwere Schieflage! Müssen wir tatsächlich warten auf die Erklärung durch junge ParlamentarierInnen, um zu verstehen, warum "es ein gut funktionierendes staatliches Gemeinwesen braucht"? Und: Vorgeblich ideologiefreie Politiker mit einer "pragmatischen 'Fall zu Fall'-Sicht" hiessen früher "rückgratlose Opportunisten". Wer behauptet, er / sie folge keinen Dogmen / keiner Ideologie und liesse sich alleine problembezogen vom "gesunden Menschenverstand" leiten in politischen Fragen, hat - wenn er / sie das wirklich meint - zuwenig Selbstreflektion betrieben oder - wenn er / sie es insgeheim besser weiss - lügt. Laut Marcolli können JungparlamentarierInnen Folgendes auch besonders gut:

Nachdrücklicher darauf aufmerksam machen, dass der Staat nicht nur die Müllkippe für die Abfallprodukte aus den Gesundschrumpfungsprozessen sein darf, dass die rapide steigenden IV-Kosten nicht nur ein Problem des Gemeinwesens sind.

Zum Beispiel die alleinerziehende Mutter, die ihren Teilzeitbürojob bei der UBS wegen einer Reorganisation verloren hat und nun im SAHARA, im Rahmen einer Beschäftigungsmassnahme, second-hand Kleider verkauft, wird sich bedanken dafür, dass Marcolli - oder seine JungparlamentarierInnen - sie als "Müll in der staatlichen Kippe für Abfallprodukte aus den Gesundschrumpfungsprozessen" bezeichnet.

Dienstag, 10. Mai 2005

sterben? unfair!

Auf die Gefahr einer Doublette hin...: Peter Schibli heute auf S. 3, philosophisch ausgewogen, reflektiert über den staatlich sanktionierten Mord, vulgo Todesstrafe:

Jede Hinrichtung bleibt - unabhängig von der Hautfarbe des Opfers [gemeint Hautfarbe des Opfers des zum Tode bestraften] - unfair, rechtsstaatlich bedenklich und grausam. (...) Die Todesstrafe ist in jedem Fall ungerecht sowie irreversibel.

"Unfair" ist etwa dasselbe wie "ungerecht". Aber ist das die adäquate Bezeichnung für die Todesstrafe? "Was, die Spritze, die ihr an meinem Arm ansetzt, die killt mich? Das ist aber unfair!" Oder "Hey, dreht den Gashahn ab, ich ersticke ja! Das find ich ungerecht!" Oder: "Der Strick da dünkt mich irgendwie rechtsstaatlich bedenklich. Macht doch die Schlinge weg von meinem Haaaaaaa..." Aber wenn man - nach zeitungsauflagentechnischer Güterabwägung - die Freunde der Todesstrafe im Publikum (in den USA sind's 74%, in CH wohl nur wenige weniger, also die Mehrheit) nicht verärgern will, dann muss man als Kommentator wohl so schreiben...

Endgültig

Auf Seite 3 hat Peter Schibli erneut eine Studie studiert. Der Zwischenruf endet unwiderruflich damit:

"Und: Die Todesstrafe ist in jedem Fall ungerecht sowie irreversibel."

Damit ist wohl endgültig (um nicht zu sagen irreversibel) alles gesagt. Ergänzend dies: Der Tod ist tödlich, wie die Todesstrafe. Definitiv.

Mittwoch, 4. Mai 2005

Alle und ihr Hund...

... muss Robert Bösiger, immerhin Chef des Lokalressorts der baz, zusammengezählt haben, damit er auf seine Schätzung über die Grösse der Weltbevölkerung kommen kann, die er heute auf S. 2 in seinem Kommentar nennt:

Knapp acht Milliarden Menschen haben die Fussball-Europameisterschaften 2004 in Portugal am Fernsehen mitverfolgt. In drei Jahren, wenn die Euro 2008 in der Schweiz und in Österreich stattfindet, werden es noch mehr sein.

Der Weltbevölkerungszähler des US-Census-Büros steht am 4.5.05 um 18:46 Uhr auf 6'439'410'935. Wo hat Bösiger die fehlenden 1,5 Milliarden Menschen her? Seine Zählweise macht etwa so viel Sinn, wie wenn das Schweizer Fernsehen die täglichen Zuschauerzahlen ein Jahr lang aufsummiert und dann Ende Dezember sagt: "Super, wir hatten 2005 über eine halbe Milliarde Zuschauer!" Bösiger fordert - wegen der über acht Milliarden Menschen, die Matches in Basel sehen werden... - dass die Region "wie ein Mann" sich hinter die Regierungen stellt. Wir müssen frohen Mutes auf jegliche Artistik mit Holzbengeln verzichten.

Keinen Platz haben in diesem Unterfangen Kleinkrämerei und Griesgram. Die Standortregierungen sitzen im Vergleich zu den Veranstaltern am kürzeren Hebel. In dieser Lage verträgt es keine Bengel, die wir uns selber zwischen die Beine werfen - etwa mit Referenden. Wieso also nicht die regierungsrätliche Projektorganisation mit einer einmaligen Finanzkompetenz ausstatten, die über das gewohnte Mass hinausgeht?

Bösiger, der begabte Statistiker, verlangt blindes Vertrauen in die Kompetenz der Regierenden im Umgang mit Geld. Vielleicht allerdings ist er nicht der wirklich richtige Mann für solche Vorschläge bezüglich des Umgangs mit grossen Zahlen... oder erst recht doch?

Montag, 2. Mai 2005

Philipp Maloney, Ermittler bei der Tragödie am Aeschenplatz, geht von einem Redaktionsdrama aus

Mann tötet am Samstag in Rheinfelden seine Familie mit gezielten Kopfschüssen, dann sich selbst. Die baz kriegt sich nicht mehr ein und macht daraus die vierspaltige Topgeschichte auf der Frontseite. Und - Emotionen, Emotionen, Emotionen - setzt als Kontrast, zur Illustration des Wettergeschehens am vergangenen Wochenende, darunter dreispaltig das Bild einer lasziv an der Rheinpromenade bauchnabelfrei hingefläzten, sonnenbebrillten jungen Blondine (Bild Tino Briner). Die Bild-Zeitung hätte mehr Fingerspitzengefühl. Den Artikel auf der Frontseite startet Philip Loser mit quantitativen Betrachtungen.

Gross war der Andrang, als die Polizeidirektion am Sonntag zur Medienkonferenz lud.

Das findet bei dem Anlass nur der bemerkenswert, der sich darüber ärgert, dass er arbeiten muss und also nicht zur Blondine am Rhein liegen kann. Das reicht aber noch nicht. Loser füllt mit der Geschichte auch gleich die Bundspitze des Teils "region". Und - als ob wir inzwischen noch daran zweifeln dürften, was geschehen ist - setzt darüber die "zurückhaltende" Spitzmarke:

Uwe Wenk, Ermittler bei der Tragödie in Rheinfelden (D), geht von einem Familiendrama aus

Wer hätte das gedacht...? Loser hat aber noch einen. Die Seite ziert ein langes Interview mit dem Ermittler, das so nie stattgefunden hat. Was Loser entwaffnenderweise auch gleich zugibt:

Das folgende Interview besteht aus Aussagen, die Kriminalhauptkommissar Uwe Wenk, der verantwortliche Ermittlungsbeamte, während der Pressekonferenz gemacht hat.

Das Interview war also gar keines. Vielleicht erfindet die baz gerade eine neue Sorte Journalismus: Den "anything-goes-Journalismus". Ganz sicher aber ist die Negativ-Pointe der ganzen Geschichte, der absolute Nullpunkt der Berichterstattung, eine Frage, die Markus Wüest in seinem Kommentar zu dem Drama auf S. 2 stellt:

Sind es die veränderten Geschlechterrollen, die zu solchen Explosionen führen?

Wüest behauptet damit implizit: Alice Schwarzer, und alles wofür sie steht, ist schuld daran, dass ein wohlhabender Deutscher (Ermittler Uwe Wenk laut baz: "Die Familie hattte, obwohl der Mann schon seit einigen Jahren nicht mehr arbeitete, keine finanziellen Probleme.") seine Kinder und seine somalische Frau aus nächster Nähe mit Kopfschüssen liquidiert. Kann mal jemand den Wüest wüst schütteln, bitte! Solche Fragen in die Welt zu setzen, das hat nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun mit dem aufklärerischen Bemühen, irgendein Denktabu zu brechen. Das ist blosser chauvinistischer, reaktionärer, frauenfeindlicher Reflex. Wüest insinuiert damit nichts weniger als dass die Frau, weil sie als solche zur Welt gekommen ist, selber schuld ist an der Kugel, die in ihrem Kopf steckt.

Ursache und Wirkung

Frontseite, Anreisser für Bericht über Attentate in Kairo:

Mehrere Touristen wurden nach Anschlägen in der ägyptischen Hauptstadt verletzt

Aha, das waren gar nicht die Bomben, die die verletzt haben. Die Touris wurden ja laut baz erst nach den Anschlägen verletzt. Sind sie in eine Schlägerei mit rasenden Reportern geraten, die sich grad um die passende Schlagzeile prügelten?

Heute kommt der Weihnachtsmann

Das Titelbild des "bazkulturmagazin" ziert ein Foto aus dem Jahre '79 von Truman Capote, der seinen linken Arm Andy Warhol in einem Nikolauskostüm über die Schultern gelegt hat. Unzulässigerweise gedacht beim Betrachten: Ist das wirklich Andy Warhol? Oder nicht vielleicht doch Heino?

Dienstag, 26. April 2005

Untergang des Abendlandes reloaded II

Teil I hat Peter Schibli schon geliefert. Heute legt er im selben Tonfall nach:

Der Nutzen scheint bei diesen neuen Kommunikationsmitteln an einem kleinen Ort. Unterhaltung und Kommunikation wären auch auf anderem Weg und mit anderen Mitteln zu erzielen. Die Frage sei deshalb erlaubt, ob die postmodernen Erfindungen «Handy, TV und Internet» genauso wertvoll sind wie die Erfindung des Penicilins, der WC-Brille oder des Kochherds. Oder schaden diese Neuerungen möglicherweise mehr als sie nützen?

Eine rein rhetorische Frage! Deren wissenschaftlich fundierte Antwort der Retter des Abendlandes sofort liefert:

Eine aktuelle Antwort kommt aus Grossbritannien: Laut einer Studie des ["des"! sic!] «University of London» sank der Intelligenzquotient von Probanden nach intensivem SMS- und E-Mail-Versand vorübergehend um bis zu zehn Punkte. Dasselbe Phänomen dürfte für den unkontrollierten TV-Konsum zutreffen: Aufwand und Ertrag, Nutzen und Risiko befinden sich in einem Missverhältnis. Und was tun wir mit dieser Information? Mein Ratschlag an Kinder, Jugendliche und Erwachsene: Mass halten, weniger ziellos im Internet surfen, weniger fernsehen und weniger per Handy telefonieren.

Glotzen, surfen, chatten, mailen, smslen, telefonieren: Alles macht dumm! Aber nicht mal Herr Schibli hält sich an seine eigenen Ratschläge. Würde er sonst "des University of London" schreiben? Was Oswald Schibli Spengler gefliessentlich verschweigt: Das alles ist - immer laut derselben Studie - mehr als doppelt so schlimm wie Kiffen (falls der Link nicht mehr stimmt: studieintimes (pdf, 48 KB)). Den darum naheliegenden Schluss, lieber mehr kiffen statt fernsehen, erlaubte er sich nicht...

Nachtrag (ich muss es loswerden...). Da stimmt doch alles, Herr Schibli:

Aufwand und Ertrag, Nutzen und Risiko befinden sich in einem Missverhältnis.

Sie meinen den TV-Konsum. Der Aufwand ist minim, der Ertrag auch mässig. Der Nutzen ist relativ klein, das Risiko nicht viel grösser. Wo ist hier das Missverhältnis?

Gesammelte Bazismen

Die baz (Basler Zeitung) ist die beste Zeitung der Welt und ich bin ihr Prophet! It's a dirty job, but somebody's got to do it! language is a baz-illus! Hier können übrigens alle mitschreiben. Alle mit einem twoday-account. Und der ist gratis! Feedback via "bazismus @ mac.com".

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