Dienstag, 2. November 2004

Aus dem Zusammenhang reissen...

... ist eine Kunst, die die baz besonders gut beherrscht. Sie hat sogar eine eigene Rubrik dafür. Auf S. 2, und sie trägt den Titel "ansage". Heute les ich da von Wim Wenders den reichlich schwachsinnigen Satz, den er am Sonntagabend als Gast von Sabine Christiansen rausgelassen hat:

Bin Ladens Terrorismus hat das Land Amerika dazu geführt, auch zu einem fundamentalistischen, totalitären Staat zu werden.

Nun mag man ja Bush und Konsorten zu recht für Scheisse, die Amis überhaupt für zu dick und zu doof, die US-Aussenpolitik für imperialistisch und Hollywood für zu dominant halten, aber darum sind die USA als Staat immer noch ein gutes Stück davon entfernt, totalitär oder fundamentalistisch zu sein. Meine Wenigkeit hat zufällig vorbeigezappt, als Wenders grad seinen Satz vom Stapel liess. In der Runde mit Scharping, Schäuble, Scholl-Latour und Burt, die der Frage nachging "Was bedeutet die US-Wahl für Deutschland?", mimte Wenders zwar nach Kräften den USA-kritischen bis antiamerikanischen Linksausleger, aber so richtig zu überzeugen vermochte er nicht. Sorry. Und warum druckt die baz den Satz grad heute? Wohl weil die US-Taliban heute ihren neuen Führer wählen, wie Herr Wenders meint.

Kotzer des Tages

Ich erhebe mich steif. Und schreite würdig zur Toilette. Dann kotze ich jaulend die Schüssel voll. (...) "Gib das Letzte!" - feuert Innocent mich [beim Kotzen] hämisch grinsend an.

Trash-"Literatur"? Freistilschreiben? Bukowski at his best? Nein. Nur -minu bei seiner Lieblingsbeschäftigung: Gegen Entgelt ordinäre Détails aus seinem Privatleben erfinden und der baz die Seiten damit füllen. baz.regiomagazin S. 6

Indiskretion à discrétion

Die Baslerin Natascha Borer arbeitet für den Besuchsdienst Basel. Dabei ging es ihr früher selber sehr schlecht (...)

Charles Martin versucht im bazregio.magazin auf S. 7 eine junge Frau namens Natascha Borer zu portraitieren und gleichzeitig den Besuchsdienst Basel vorzustellen. Diese Institution bietet gewissen IV-BezügerInnen eine Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeit. Was liefert er mir? Schwurbel zum Einstieg. "Sie arbeitet für den Besuchsdienst, dabei ging es ihr früher selber schlecht." Aha. Also ganz im Sinne von: Autor Charles Martin arbeitet für die baz, dabei las er früher selber Zeitung. Schade, schon den Einstieg verpatzt. War wohl wieder der Dienstredaktor, der zu später Stunde, kurz vor Redaktionsschluss, noch einen Lead hinschmieren musste? Was schwach anfängt, lässt später schwer nach. Was will Martin von mir? Warum erzählt er mir all die Détails aus der Biographie einer Fremden, die mich nix angehen? Der Titel

Lebensfreude durch Heilen - Natascha Borer besucht einsame Menschen im Altersheim

verspricht mir Einblicke in die Arbeit einer Mitarbeiterin des Besuchsdienstes. Das könnte ja interessant sein. Könnte. Aber um Borers Arbeit geht es auf gerade mal vier Zeitungszeilen.

Natascha Borer ist in den Altersheimen gern gesehen. Nach ihren Besuchen seien die Betagten wieder viel ausgeglichener, viel zufriedener, heisst es.

Den Rest füllt Martin mit voyeuristischen Beschreibungen der aktuellen und vergangenen psychischen Probleme von Borer. Eine verfehlte Perspektive eines an sich interessanten Themas. Martin streift die eigentlichen Geschichten zwei Mal, ohne es zu merken. Er lässt Borer sagen:

Vor allem muss ich, sollte ich gesundheitlich wieder mal eine schwierige Phase durchmachen, nicht um meinen Job bangen, und das ist äusserst wichtig, um in die Gesellschaft zurückzufinden

Und dann verpasst er den Punkt gleich nochmals:

Ein bedeutender Meilenstein war ein neues Medikament. "Es hilft mir, das psychische Leiden weitestgehend in Schach zu halten, lässt jedoch alle meine Gefühle wieder zu."

Von da her aufgedröselt, hätte ich was über den Besuchsdienst erfahren anhand von Borer als Beispiel. Davon weiss ich aber nach der Lektüre gar nix. Dafür bin ich unangenehm berührt von den intimen Détails, die Martin grundlos vor mir ausbreitet.

Ghettoblues of the rich

Die beklagenswerten Millionäre in ihrem Ghetto namens Bruderholz! Sie leben so anonym wie in einer Mietskaserne: Man kennt das ältere Ehepaar in der Nachbarsvilla am Horizont kaum mit Namen. Zum Glück berichtet uns die beste Zeitung der Welt von der Millionärsselbsthifegruppe, die - laut Titel -

Begegnungsmöglichkeiten für das Bruderholz

schafft, wie Charles Martin - schon wieder der? - im regiomagazin auf S.8 berichtet.

Bei den einen gilt er als elitär, bei den anderen als ideale Wohngegend nahe an der Natur: Der Bruderholz-Hügel.

Das sind noch Gegensätze von altem Schrot und Korn! "Elitär" vs. "ideale Wohngegend". Was hör ich da: Das ist gar kein Gegensatz? Sag ich ja, aber wer mit "bei den einen, ... bei den anderen" hantiert, sollte einen Gegensatz verwenden. Das gilt nicht für bazler? Ok, sorry, hab ich ganz vergessen. Noch ein Détail: Wie in aller Welt ein Hügel "elitär" sein kann, das müsste man mir erst erklären. Egal. Denen auf demselben ist ja auch alles egal, wie Martin Erich Bucher, den Präsidenten des Neutralen Bruderholz-Quartier-Vereins, sagen lässt:

Es ist richtig, dass wir viele gut betuchte Anwohner im Bruderholz zählen. Aber dies gilt nicht ausschliesslich. Bei uns sind alle willkommen, und gerade auch zu unseren öffentlichen Anlässen.

Nein, nein, es dürfen alle kommen! Auch für die Armutsliste enthüllen die Millionärsgattinnen ihre malen-nach-Zahlen-Bilder:

Einer dieser Anlässe findet in der ersten Novemberhälfte statt. Der Kultur-Event des Bruderholz ist in den vergangenen sechs Jahren allmählich zum kleinen Grossereignis gewachsen. "Wir fördern vor allem unsere Künstlerinnen und Künstler aus dem Quartier fürs Quartier", betont Erich Bucher. Diese können zum Beispiel ihre Bilder unentgeltlich ausstellen. "Wir hatten letztes Jahr eine Künstlerin, die nach der Ausstellung an unserem Kultur-Event ihre Bilder gar in einer Basler Galerie zeigen durfte, " sagt Erich Bucher sichtlich erfreut.

Es ist gar nicht das viele Geld oder der Ruhm oder die Villa auf dem Bruderholz. Es sind kleine, einfache Freuden, die im Grunde das Lebensglück ausmachen, oder?

Frauen gehören an den Herd!

Leila Straumann, Leiterin des Gleichstellungsbüros des Kantons Basel-Stadt in ihrer Kolumne auf S. 15 des regiomagazins, über die Frau im allgemeinen und ihre Bestimmung im speziellen:

Da sie - ihrer vorgegebenen Rolle entsprechend - einmal Beruf und Familie vereinbaren wollen, entscheiden sie sich oft für Berufe, in denen Teilzeitarbeit üblich ist.

Was Straumann sagt nochmals in slow motion: 1. Frauen haben eine vorgegebene Rolle. 2. um ihr gerecht zu werden, wählen sie Berufe, in denen Teilzeitarbeit üblich ist. 3. Die Rolle besteht darin, für die Familie da zu sein, sprich Kinder zu gebären und am Herd zu stehen. 4. Teilzeit bereitet am besten auf 3. vor. Ende slow motion. Das war jetzt böswillig polemisch zugespitzt, geb ich gerne zu. Aber wenn sogar schon die Chefin des Gleichstellungsbüros von "vorgegebenen Rollen" für die Frau phantasiert, dann muss halt ich zur Feministin werden, wenn sie diese Position aufgibt. Dann muss ich ihren Ausrutscher bis zur Kenntlichkeit entstellen. Weniger wär manchmal mehr: Es hätte ja schon gereicht, das zwischen den Gedankenstrichen wegzulassen: "Da sie einmal Beruf und Familie vereinbaren wollen, entscheiden sie sich oft für Berufe, in denen Teilzeitarbeit üblich ist." Wer von "ihrer vorgegebenen Rolle entsprechend" spricht, wo sie etwas meint in der Art von: "dem Klischee entsprechend" oder "dem patriarchalen Rollenbild entsprechend", die zementiert genau den Stereotyp, den als Gleichstellungsbeauftragte abzuschaffen sie angestellt ist.

Der Italiener an und für sich...

... eröffnet gerne Lagerraumsysteme. Jedenfalls behauptet das die beste Zeitung der Welt heute auf ihrer Frontseite oben rechts:

Italiener haben in Basel ein neues Lagerraumsystem eröffnet.

Was das Weltblatt verschweigt: Kurden haben in Basel ein neues Pizzasystem eröffnet. Iren haben in Basel ein neues Biersystem eröffnet. Türkinnen haben in Basel ein neues Putzsystem eröffnet. Argentinier haben in Basel ein neues Fussballsystem eröffnet. Und, ganz wichtig: Luzerner haben am 4. September in Basel ein neues Zeitungssystem eröffnet!

Man kann's auch übertreiben

Nur weil Bush und Busch gleich tönen, ist das noch lange nicht originell, was auf der Frontseite steht:

Theater in den USA: Neue Bühnenstücke klopfen auf den Bush.

Gesammelte Bazismen

Die baz (Basler Zeitung) ist die beste Zeitung der Welt und ich bin ihr Prophet! It's a dirty job, but somebody's got to do it! language is a baz-illus! Hier können übrigens alle mitschreiben. Alle mit einem twoday-account. Und der ist gratis! Feedback via "bazismus @ mac.com".

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Zuletzt aktualisiert: 17. Dez, 14:28

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