Sonntag, 31. Oktober 2004

Produktivitätsgewinn, unbemerkt

S. 3, Matthias Geering plaudert aus dem Nähkästchen:

Zeitungsfotografen waren früher einem unglaublichen Druck ausgesetzt, denn von ihnen wurde schier Unmenschliches erwartet: Der Wahlgewinner in Siegespose, das entscheidende Tor des FCB im Joggeli, das durchschnittene Band bei der Eröffnung des Augobahnabschnitts - immer wollte die Redaktion das Bild und wusste genau, wie dieses eigentlich auszusehen habe.

Dann folgt der herzergreifende Bericht darüber, dass früher Fotografen Film um Film belichteten, ohne zu wissen, ob sie den richtigen Schnappschuss erwischt hatten. Dann die Erlösung: die Digitalkamera. 30'000 Franken liess die baz damals anno 1996 offenbar springen für ein erstes Profimodell mit einem 1 Megapixel Sensor. Geering schliesst mit der Bemerkung, heute koste ein Spitzengerät 1'800 Franken bei 6 Megapixel. Was mich als Leser aber dieses apperçu angeht, weiss ich bis zur letzten Zeile nicht. Dass elektronische Geräte einem extremen Preiszerfall ausgesetzt sind und gleichzeitig immer mehr können, das weiss das Publikum auch aus eigener Erfahrung. Statt solcher Banalitäten, die sich in drei Sätzen abhandeln liessen, wäre interessanter gewesen, zu erfahren, wie die Digitalkamera die Pressefotografie verändert hat. Ob heute nicht mehr "schier Unmenschliches" erwartet wird von den Fotoleuten, oder - was ich vermute - ob die Erwartungen im Gegenteil noch gestiegen sind: "Du gehst an diese sieben Veranstaltungen und lieferst nur die besten Bilder! Jammere nicht, Du hast ja jetzt eine Digitalkamera!" wo's früher hiess: "Geh an diese Pressekonferenz und bring ein paar anständige Bilder mit!"

Charmeoffensive à la baz

bazkulturmagazin S. 5, Christoph Heim und Sigfried Schibli nehmen den Baselbieter Regierungsrat Urs Wüthrich mal so richtig zur Brust zum Thema "Baselland wie weiter? (...) Fragen (...) zum Kulturklima in einem Kanton, der sich mit der Kultur schwer tut.":

Die Beteiligung von Baselland an den kulturellen Zentrumsleistungen von Basel-Stadt ist immer wieder ein Thema. Halten Sie diese für ausreichend? Ist Baselland nicht letztlich ein Schmarotzer-Kanton?

Ganz im Sinne von: "Hey, Fatso, wie lebt's sich als Profiteur?!?!" Warum der so Befragte den beiden Kulturjournalisten wegen ihrer unkultivierten Art nicht einfach die Tür gewiesen hat? Das ist sein Geheimnis.

Der Asiate an und für sich...

... ist halt viel fleissiger als Du und ich. Im Wirtschaftsteil auf S. 16 gibt der Felix Erbacher uns faulen Säcken mal wieder Saures.

In Asien aber lernen und arbeiten die jungen Menschen fleissiger als in den alten westlichen Industriestaaten, um Karriere zu machen und gleichzeitig ihre laufend steigenden Konsumwünsche zu erfüllen

Und Erbacher, der alte Trendscout, weiss noch mehr:

Den Trend aber müssen wir akzeptieren: Zum gleichen oder sogar zu einem tieferen Lohn mehr leisten. Alles andere ist Wunschdenken. Die Arbeitsproduktivität muss steigen.

Erbacher geht mit leuchtendem Beispiel voran und verzichtet freiwillig auf 30% seines Lohnes zugunsten seines Bosses Mathias Hagemann. Und: Erbacher verspricht, in Zukunft für den kleineren Lohn noch mehr und noch längere Artikel zu schreiben. Finden wir toll!

Es ist alles so schön bunt hier,...

... ich kann mich gar nicht entscheiden, was der eigentliche Skandal ist! S. 24/25 Doppelseite mit den Resultaten einer von der baz in Auftrag gegebenen Analyse der Wahlen. Wenn mir nur jemand erkären könnte, wie die 21 Grafiken auf dieser Doppelseite zu lesen sind?!?! Und wie, zum Teufel, sie zustande gekommen sind? Wie kommt auf einem legalen Weg beispielsweise eine solche Aussage zustande (S. 25 oben rechts, Text zu "SP als Sammelbecken"):

100 Personen, die im Jahr 2000 SP wählten, legten jetzt die SVP-Liste ein.

Oder diese (S. 25 unten links, Text zu SP als Stimmenspender):

Fast 1400 Personen, die vor Jahresfrist der SP die Stimme gegeben hatten, legten jetzt die DSP-Liste ein, die vor vier Jahren nicht im Wahlcouvert war. Beachtlich an dieser Statistik ist auch die Wanderung von 740 Wählenden von der SVP zur DSP.

Wie steht es um den Datenschutz, wenn sich dies feststellen lässt? Wie kommt das Polizei- und MIlitärdepartement (PMD) dazu, das Wahlverhalten jeder Person festzuhalten? Anders ist kaum zu erklären, warum herauszufinden ist, was jemand in der Vergangenheit gewählt hat, der heute SVP wählt. Auch wenn die Daten anonymisiert an das mir bisher völlig unbekannte "Institut für Wahl-, Sozial- und Methodenforschung" gingen: Es bleibt der Verdacht, dass das PMD die Daten unanonymisiert besitzt. Dürfen wir nicht mehr brieflich wählen oder abstimmen? Müssen wir dann damit rechnen, dass das PMD mitschreibt, was ich einschicke? Ist die Anonymität nur gewährleistet, wenn ich an der Urne erscheine und den Zettel einwerfe, so dass er im Haufen verschwindet, und es nicht mehr rekonstruierbar ist, welcher Zettel zu welchem Couvert gehört? Doris Moser Tschumi, baselstädtische Wahlchefin, was geht hier vor? Behauptet das Institut etwas aussagen zu können anhand der nackten offiziellen Endergebnisse, das es eigentlich nicht kann (Seine Methodik klingt sehr kryptisch. Kann das mal jemand mit dem nötigen sozialwissenschaftlichen Know-How kritisch ansehen? Ich werd den Verdacht nicht los, dass Autor Kohlsche Scharlatanerie betreibt)? Oder haben Sie Daten rausgegeben, die Sie schon gar nicht erheben dürften? Was sagt der Artikel über die Datenlage / Methode? Nicht viel Erhellendes.

Grundlage der Analyse sind die vom Polizei- und Militärdepartement zur Verfügung gestellten Ergebnisse für die Gemeinden und Wahlkreise. Die Wählerwanderungen werden mit einem statistischen Verfahren berechnet, das ausschliesslich die regionalen Ergebnisse faktischen Wählerverhaltens benutzt.

So weit, so nichtssagend. Das ist ja wohl selbstverständlich, dass nur "regionale Ergebnisse faktischen Wählerverhaltens" zu berücksichtigen sind. Was denn sonst? Die Wahlen in den USA??? Grossartig auch die Grafik zu "Einblicke ins Panaschierverhalten". Ganz kurz: Was ist panaschieren? Das: "Panaschieren bedeutet, auf einer Liste einen Namen zu streichen und den Namen einer Kandidatin oder eines Kandidaten einer anderen Liste einzusetzen." Und was macht das Institut nun daraus?

Das Panaschierverhalten liefert interessante Einblicke, wie die Wähler die Parteien bei den diversen Wahlen im Links-Rechts-Spektrum eingeordnet haben.

Aber wie genau das gehen soll, wird mir nicht verraten, im Gegenteil:

Im Folgenden sollen nicht die Verläufe der Parteien noch einmal in Worte gefasst werden - die Grafik kann das viel besser -, sondern es soll versucht werden, die Ergebnisse hinsichtlich der Positionen generell und der langfristigen Verläufe zu analysieren.

Autor AJK verrät mir zwar nicht, wie eine Grafik etwas besser in Worte fassen kann, aber item. Vielleicht hat AJK ja die Grafik und vor allem ihre Entstehung ebensowenig verstanden wie ich, darf das aber nicht zugeben. Eine Grafik, der eine solche Peinlichkeit unterläuft:

Aufgrund der Skalierung finden sich SD und EDU 2003 noch ausserhalb des rechten Grafikrandes und mussten deshalb ausnahmsweise ganz links angeordnet werden.

So ein, Pardon, Schmarrn. Die sowieso schon schwer nachvollziehbare Darstellung verliert so ihren letzten Rest an Lesbarkeit. Der Versuch, die Wahlergebnisse zu analysieren, mag ja noch ehrbar sein. Wenn dann aber Zeugs dabei rauskommt, wie diese Doppelseite, die nichts erklärt, sondern nur neue, grosse Fragezeichen hinterlässt (u.a.: Warum verkauft die baz als harte Fakten, was aufgrund diskutabler statistischer Annahmen und entsprechender Zahlenschieberei entstanden ist?), dann war die Übung für die Katz - und das Geld, das Herrn Dr. Andreas J. Kohlsches Analyse verschlungen hat, zum Fenster raus geworfen. Damit hätte sich wohl der Veranstaltungskalender der baz, der ab morgen nur gegen Entgelt Hinweise publiziert, noch lange kostenlos halten lassen.

Gesammelte Bazismen

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